Und wie Du lernst, ihm zu vertrauen – statt Dich dafür zu schämen
Du willst einfach nur mit Deinem Hund spazieren gehen. Ein bisschen frische Luft, kurz durchatmen, den Alltag abschütteln. Doch dann siehst Du einen anderen Hund. Noch ist er weit entfernt, vielleicht ganz ruhig – und trotzdem spürst Du, wie sich in Deinem Bauch etwas zusammenzieht. Dein Herz schlägt schneller, Dein Blick wird angespannter, Deine Hand umschließt die Leine etwas fester.
In dem Moment ist äußerlich noch gar nichts passiert, aber innerlich läuft bereits ein bekanntes Programm ab. Dein Körper bereitet sich vor. Gedanken schießen durch den Kopf: „Bitte nicht wieder. Bitte einfach vorbeigehen. Bitte nicht heute.“ Und dann kommt die Selbstkritik: „Ich darf nicht so angespannt sein. Ich muss das souveräner hinkriegen. Der Hund merkt meine Unsicherheit – es ist meine Schuld.“
Aber weißt Du was? Es ist nicht Deine Schuld. Und dieses Gefühl ist auch kein Beweis dafür, dass Du versagt hast. Es ist ein Hinweis. Ein Signal. Ein Schutzmechanismus, der Dir sagt: Achtung, da ist etwas, das Dir Sorgen macht – aus gutem Grund.
Dein Körper weiß oft mehr als Dein Kopf
Dein Bauchgefühl ist keine Einbildung. Es ist ein kluger Teil von Dir, der auf Erfahrungen, Beobachtungen und gespeicherte Emotionen zurückgreift. Du hast gelernt, wann Situationen für Deinen Hund stressig werden können. Vielleicht hast Du schon oft erlebt, wie Dein Hund bei Begegnungen angespannt oder laut reagiert hat. Vielleicht erinnerst Du Dich sogar an unangenehme Kommentare von anderen Menschen, die Dir in solchen Momenten das Gefühl gegeben haben, alles falsch zu machen. Dein Körper erinnert sich an all das – auch wenn Du es im Alltag nicht ständig bewusst abrufst.
Unser Nervensystem reagiert oft, lange bevor der Verstand vollständig versteht, was gerade passiert. Es scannt die Umgebung, vergleicht sie mit früheren Erfahrungen und trifft blitzschnell eine Einschätzung: Gefahr oder Entspannung? Diese automatische Reaktion hat nichts mit Übertreibung zu tun – sie ist Biologie. Sie soll Dich schützen.
Wenn gut gemeinte Ratschläge verunsichern
Gerade wenn man mit einem reaktiven oder unsicheren Hund lebt, bekommt man schnell ungefragt Tipps und Kommentare: „Der merkt halt, dass Du nervös bist.“ – „Du musst einfach nur souverän führen.“ – „Der spiegelt Deine Unsicherheit.“ Diese Sprüche setzen oft noch zusätzlich unter Druck. Denn sie lassen Dich glauben, dass Deine Gefühle die Ursache für das Verhalten Deines Hundes sind. Und das kann dazu führen, dass Du Dir selbst nicht mehr vertraust.

Dabei ist Dein Gefühl nicht das Problem – es kann ein wichtiger Teil der Lösung sein. Wenn Du lernst, Deine Reaktionen ernst zu nehmen und bewusst einzuordnen, kannst Du aus diesem Kreislauf aussteigen. Nicht indem Du Gefühle unterdrückst, sondern indem Du sie verstehst und mit ihnen arbeitest.
Was passiert da eigentlich – körperlich und emotional?
Sobald Dein Nervensystem ein mögliches Risiko erkennt, startet ein automatischer Prozess. Muskeln spannen sich an, Deine Atmung verändert sich, Dein Fokus wird enger. Das Denken wird weniger flexibel, weil der Körper auf „Reaktion“ statt auf „Reflexion“ vorbereitet wird. Das ist kein persönliches Versagen, sondern eine ganz normale körperliche Reaktion auf wahrgenommene Unsicherheit.
Das Gute ist: Du kannst lernen, mit diesem Mechanismus umzugehen. Du kannst lernen, Deine Körpersignale zu erkennen, bewusst zu atmen, Abstand zu schaffen, rechtzeitig zu agieren – und dadurch wieder handlungsfähig zu werden.

Und wie wirkt sich das auf Deinen Hund aus?
Ja, Dein Hund nimmt wahr, wie es Dir geht. Aber das bedeutet nicht, dass er automatisch Deine Gefühle übernimmt. Hunde reagieren nicht direkt auf „Unsicherheit“, sondern auf das, was sie sehen, hören oder spüren – Körperspannung, Bewegungsmuster, das Verhalten an der Leine. Wenn Du beginnst, klarer und bewusster zu handeln, weil Du Deine eigenen Reaktionen besser verstehst, verändert sich auch das Zusammenspiel zwischen Euch beiden. Nicht, weil Du Dich „zusammenreißt“, sondern weil Du innerlich ruhiger und klarer wirst.
Wie Du lernst, Deinem Gefühl zu vertrauen
Es geht nicht darum, das unangenehme Gefühl wegzudrücken, sondern es zu nutzen. Es will Dir etwas sagen – und es lohnt sich, zuzuhören. Ein erster Schritt kann sein, Dir zu erlauben, dieses Gefühl überhaupt wahrzunehmen, ohne es sofort zu bewerten. Wann tritt es auf? In welchen Situationen? Gibt es bestimmte Auslöser, die es verstärken?
Ein kleines Begegnungstagebuch kann helfen, Muster zu erkennen und mehr Sicherheit zu gewinnen. Vielleicht merkst Du, dass bestimmte Orte, Zeiten oder Hundetypen besonders herausfordernd für Euch sind. Vielleicht erkennst Du auch, welche Situationen Du bereits gut meisterst – ein Aspekt, der im Alltag oft übersehen wird.
Wenn Du beginnst, die Körpersprache Deines Hundes besser zu lesen, erkennst Du frühzeitig, wann er Unterstützung braucht. Du kannst dann Distanzen besser einschätzen, Ausweichmöglichkeiten nutzen oder bewusst neue Rituale etablieren. Und Du wirst merken: Es geht nicht darum, immer alles unter Kontrolle zu haben. Es geht darum, handlungsfähig zu bleiben.
Dein Gefühl ist der Anfang – nicht das Hindernis
Du musst nicht perfekt sein. Du musst auch nicht alles sofort umsetzen können. Es reicht, wenn Du anfängst, Dir selbst zuzuhören – und Dich ernst zu nehmen. Veränderung beginnt genau da. Wenn Du Dein Bauchgefühl nicht als Störfaktor, sondern als Kompass begreifst, öffnet sich ein neuer Blick auf Deinen Hund – und auf Dich selbst.



